Skip to main content
Uncategorized

Warum eine Biskuitschnecke einem Mädchen beim Laufen half

Ergotherapie kann so vielfältig sein, das manchmal die unscheinbaren Dinge zum Therapieerfolg führen können. Wie auch bei dem 10jährigen Mädchen Anna*, welche sich am Fuß verletzte und nun das Laufen wieder lernen musste. Mit Hilfe von einer ergotherapeutischen Behandlung gelang es, dass sie ihren Alltag wie jedes andere Kind wieder schaffte.

Anna rutschte an einem Wintertag mit einem anderen Kind einen kleinen Hügel hinunter und versuchte einem Hindernis mit dem Fuß auszuweichen. Dabei verletzte sie sich schmerzhaft und musste im Krankenhaus untersucht werden. Ein Knochenbruch konnte ausgeschlossen werden, aber Anna sollte nun mit Gehhilfen wieder lernen, den Fuß zu belasten. Jedoch war es ab diesem Tag im Januar Anna nicht mehr möglich ihren linken Fuß einzusetzen. Die einfachsten Dinge wurden ab nun zu riesigen Problemen. Im Stehen Zähne putzen, sich etwas zu trinken aus der Küche holen oder die Treppe hinunter zum Garten laufen, sind einige davon. Anna saß am liebsten einfach in ihrem Sessel am Fenster.

Aber nicht nur in der Wohnung war sie eingeschränkt, auch in der Schule. Anna konnte nicht mehr mit dem Schulranzen allein zur Schule laufen oder zum Mittagessen hinunter in den Speiseraum gehen. Sie wurde täglich zur Schule mit dem Auto gefahren und verbrachte auch ihre Freizeit meist in der Wohnung. Kinder aus der Nachbarschaft besuchten sie und spielten mit ihr drin.

Die Monate vergingen. Das Wetter wurde besser und der Frühling stand vor der Tür. Ihrer großen Leidenschaft, dem Trampolin springen, konnte sie aber immer noch nicht nachgehen und der Zustand blieb wie am Anfang. Auch erneute Untersuchungen ergaben nichts. Anna und ihre Familie waren frustriert. Sie hatten nun schon vieles probiert. Sprachen Anna Mut und motivierende Worte zu,  aber der Fuß schmerzte beim Auftreten und die Angst ohne Gehhilfen zu laufen war schier unüberwindbar.

Die Eltern suchten nach Rat um das Problem endlich zu lösen und Anna wieder einen normalen Alltag zu bieten. Aus diesem Grund ging Annas Vater zur Kinderärztin und schilderte die verzweifelte Situation. Eine ergotherapeutische Behandlung könnte hier helfen, war ihr ärztlicher Vorschlag. Die Kinderärztin rief daraufhin in unserer Praxis an und wir besprachen gemeinsam mit dem Vater das weitere Vorgehen.

An einem der folgenden Tage besuchte ich Anna und ihre Familie zu Hause und verschaffte mir in Gesprächen einen Überblick zur Situation. Mit den Eltern, als auch mit Anna selbst, formulierte ich klare Ziele und ermittelte anhand einer Skalierung den aktuellen Stand. Den Eltern war es wichtig, dass Anna frei stehen und sich ohne Hilfsmittel in der Wohnung bewegen konnte. Darüber hinaus sollte Anna nicht mehr auf allen Vieren die Treppe hinauf krabbeln müssen, um zur Wohnung zu gelangen. Anna hatte hingegen nur einen Wunsch-endlich wieder Trampolin springen! Sie erreichte bei allen Zielen einen Anfangsstand von meist 1-2. Bei einer Skalierung von 1 bis 10, wobei 1 beispielsweise bedeutet „Ich kann gar nicht frei stehen“ oder 10 „Ich kann ohne Probleme stehen“, ist der Zustand von Anna mehr als kritisch gewesen. Die Ergebnisse des Gespräches erläuterte ich der Ärztin und schlug eine Behandlung 2mal die Woche im Hausbesuch vor. Sie stimmte zu und die Behandlung konnte beginnen.

Sehr vorsichtig und behutsam massierten und dehnten wir die stark verkürzte Muskulatur und arbeiteten am Stand. Anna zeigte eine typische Schonhaltung. Setzte den Fuß nicht ab und war durch die Gehhilfen im Schulter –und Rückenbereich verspannt. Verschiedene Übungen, Spiele und ein Luftballon halfen Anna mehr vom erkrankten Fuß abzulenken.

In einer unserer Therapien erzählte mir Anna, dass ein Freund sie in der darauffolgenden Woche besuchen wolle. Gemeinsam überlegten wir was wir für diesen besonderen Tag in der Küche zubereiten könnten. Schnell war ein Rezept herausgesucht und die Zutaten besorgt. Mit viel Spaß standen wir nun in der Küche und backten. Unsere lustigen Biskuitschnecken entstanden und bald bemerkte sie gar nicht, dass der Fuß auf dem Boden stand. Das war der erste Erfolg! Anna merkte nun ihre Leistung und wollte mehr. Innerhalb von nur 2 Wochen schafften wir es mit Gesprächen und vielen spielerischen Übungen, dass Anna nur noch eine Gehhilfe brauchte. Nun galt es den Fuß Schritt für Schritt immer mehr zu belasten. Anna bekam einen Wochenübungsplan und Therapiematerialien von mir und übte fleißig. Die Fortschritte wurden immer deutlicher und bald darauf brauchte sie auch die zweite Gehhilfe immer weniger. Aber die Angst sich davon ganz zu lösen war groß.

Ihr Wunsch, das Trampolin springen, rückte nun in greifbare Nähe und ich schloss mit Anna eine Vereinbarung: Wenn sie es in 6 Wochen schafft ohne eine Gehhilfe zu laufen und  fleißig dafür übt, gehe ich mit ihr ins Jump House. Ihre Augen glänzten, denn da wollte sie schon immer hin.

Aber der Weg dahin war mühsam. Erst einmal musste Anna es schaffen die Treppe hoch und runter zu kommen. Stufe für Stufe steigerten wir uns jede Woche und auch den Fuß konnte sie nun immer mehr belasten. In der Wohnung schaffte sie kleine Strecken schon mal ohne Gehhilfen, leider noch nicht optimal, denn Anna musste erst mal wieder lernen gerade zu laufen. Aber auch  das schaffte sie. Und die ersten Versuche auf dem Trampolin im Garten bewältigte sie mit Hilfe auch.

Anna zeigte immer wieder welchen Willen sie hat, wie viel sie sich abmüht ohne zu jammern. Und nicht jede Therapieeinheit lief immer optimal. Da gab es Tage an denen Lust oder Kraft fehlte oder der Fuß von der letzten Therapieeinheit noch schmerzte. Aber immer wieder konnte ich Anna motivieren mitzumachen.

Und dann passierte es: Anna lief nach den vereinbarten 6 Wochen ohne Gehilfen! Ich freute mich für Sie und hielt mein Wort. Wir machten einen Ausflug ins Jump House. Wir probierten alles gemeinsam aus. Hüpften so hoch es ging und hatten einfach nur Spaß. Das war ein Erfolg!

Und die Probleme mit dem Schulweg und dem Speiseraum haben wir auch noch hinbekommen. Solche Erfolge können aber mit den besten Therapien nur funktionieren, wenn der Patient es auch will. Danke Anna, du warst toll!

*Name geändert